"Game Over" - In der WELT erschien ein Artikel über unsere Fachambulanz für Spieler
In ihrer Ausgabe vom 16. September 2012 berichtete DIE WELT in ihrer Regionalausgabe NRW über GAME OVER, unsere Fachambulanz für Spieler. Der Artikel von Maria Braun setzte sich auch kritisch mit der vom Bundeswirtschaftsministerium geplanten "Spielerkarte" auseinander:
Game Over
40.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen leiden unter Spielsucht. Experten einer Bonner Fachambulanz zeigen den Zockern, dass Glück auch ohne Glücksspiel möglich ist.
Der Automat blinkt und rattert. Stefan L. blickt gebannt auf die rotierenden Früchte in der Maschine und dann – Volltreffer. Alle Räder bleiben auf Kirsche stehen. Stefan gewinnt. Eine Welle des Glücks rollt an. In seinem Körper breitet sich ein warmes Gefühl aus.
"In diesem Moment bin ich jemand", sagt Stefan. "Plötzlich habe ich Selbstwertgefühl. Doch der Rausch hält nicht lange an. Ich will sofort mehr davon." Stefan ist 45 Jahre alt. Er spielt seit 30 Jahren am Glücksspielautomat. "Ich bin süchtig. Mittlerweile kann ich das sagen. Ich habe es geahnt, aber wollte es nicht zugeben. Nicht vor anderen und auch nicht vor mir selbst", sagt der Schreiner aus Bonn. Seine Frau hat ihm nun eine Frist gesetzt. Wenn er nicht aufhöre, gehe sie weg. Deshalb sucht Stefan Hilfe bei der Bonner Fachambulanz für Glücksspielsüchtige "Game Over".
Stefan ist einer von rund 40.000 Spielsüchtigen in Nordrhein-Westfalen. Die meisten sind noch minderjährig, wenn sie das erste Mal am Automat stehen. Stefan war erst 15 Jahre alt. "Mit Freunden hingen wir oft in einer Imbissbude ab, dort stand auch ein Automat. Da habe ich zum ersten Mal gespielt. Dass wir alle unter 18 waren, hat niemanden interessiert." Stefan spielt und gewinnt – natürlich nur kleine Summen. "Das Blöde ist, am Anfang gewinnt man immer. Jeder, der anfängt, gewinnt erst mal. Es kommt mir so vor, als wüsste der Automat, dass da einer steht, der zum ersten Mal spielt."
Stefan spielt immer häufiger, sein Taschengeld reicht nicht mehr aus, er plündert sein Konto. Als sein Vater davon erfährt, sagt er nur: "Du hast doch ne Macke." Stefan fühlt sich schlecht, er will nicht spielen und auch nicht sein ganzes Geld verzocken, aber damit er sich wieder besser fühlt, fällt ihm nur der Automat ein. Er fährt zur Imbissbude und spielt. Es ist ein Teufelskreis.
Der aktuelle Bericht der Bundesdrogenbeauftragten Mechtild Dyckmanns zeigt, dass Stefan mit seiner Sucht nicht alleine ist. Fast jeder Zweite in der erwachsenen Bevölkerung hat in den vergangenen 12 Monaten bei öffentlich angebotenen Glücksspielen um Geld gespielt. Die Zahl der betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen steigt drastisch. Das Suchtpotenzial für Glücksspiele unterscheidet sich je nach Art des Spiels – das höchste Risiko geht von Geldspielautomaten aus. Und deren Anzahl ist von 180.000 auf 240.000 gestiegen, seitdem die Bundesregierung 2006 die Spielverordnung gelockert hat. Der Umsatz hat sich auf 4,14 Milliarden Euro fast verdoppelt.
Das mag die Spielhallenbetreiber freuen. Für die Fachambulanz "Game Over" bedeutet es viel Arbeit. Immer mehr Spielsüchtige suchen dort Hilfe. Und auch dort zeigt sich: "Inzwischen ist jeder fünfte Ratsuchende unter 20 Jahren", sagt Bernd Uellendahl. Der Sozialarbeiter und Suchttherapeut arbeitet zusammen mit seiner Kollegin Uta Geier-Völlmecke in der von Caritas und Diakonischem Werk getragenen Einrichtung. Derzeit betreuen sie rund 40 Betroffene und deren Angehörige.
Stefan ist noch ganz neu bei "Game Over". Seine Frau hatte von dem Angebot im Internet gelesen. Vor wenigen Wochen raffte sich Stefan endlich auf und ging in die Sprechstunde. "Das ist meine letzte Chance", sagt er. "Ich bin 45 Jahre alt und habe mein Leben verpfuscht." Wie viel Geld er verspielt hat, weiß er nicht genau, "ein Einfamilienhaus wird es schon sein", schätzt er. Aber beim Spielen hat Geld für ihn keine Bedeutung, es ist nur Mittel zum Zweck. Bei einem Glücksspiel im Internet hat er mal 150.000 Euro auf einen Schlag gewonnen. Es hat nur drei Tage gedauert, da war es wieder weg. "Jeden, den ich kenne, habe ich um Geld angepumpt, ich habe meine Familie belogen und Freunde verloren. Meine Frau hält bisher noch zu mir. Sie ist so toll. Ich will sie nicht verlieren, deshalb bin ich hier."
Nachdem Stefan den ersten Schritt gewagt hatte und in die offene Sprechstunde der Berater von "Game Over" gegangen ist, geht es für ihn nun in der Motivationsgruppe weiter. "Dort treffen wir uns ein Mal pro Woche mit den Klienten und besprechen ihre jetzige Situation und entwickeln gemeinsam Strategien, wie es weitergehen kann", sagt Uellendahl. Wer an der Gruppe teilnimmt müsse nicht spielfrei sein, aber zeigen, dass er zuverlässig ist.
Wer einige Wochen regelmäßig erscheint und somit seine Motivation zeigt, den laden die Mitarbeiter zu einem Einzelgespräch ein. "Dort können wir besprechen, wie es weitergehen soll. Wer sich für eine ambulante Behandlung entscheidet, mit dem beantragen wir gemeinsam eine Kostenzusage bei der Krankenkasse oder der Rentenversicherung", sagt Uellendahl. Wird der Antrag genehmigt, ist eine intensive Auseinandersetzung von bis zu anderthalb Jahren möglich. Die Spielsüchtigen haben dann jede Woche Einzel- und Gruppengespräche. Paargespräche sind zudem vorgesehen. Denn der Veränderungsprozess bedeutet auch für den Partner des Spielers eine anstrengende Zeit.
Bevor die ambulante Behandlung beginnt, schließen Klient und "Game Over" einen Behandlungsvertrag. "Das ist sehr wichtig", sagt Beraterin Uta Geier-Völlmecke, "denn es müssen Regeln eingehalten werden.
Stefan hat inzwischen zwei Mal die Motivationsgruppe besucht. Wenn er weiter regelmäßig kommt, kann er einen Antrag für eine stationäre oder ambulante Behandlung stellen. "Ich fange noch mal von vorne an", sagt er. Durchhaltevermögen und Zuversicht braucht er in den kommenden Monaten, denn etwa ein Drittel der Süchtigen wird wieder rückfällig. Viele brauchen mehrere Anläufe." Allerdings werden "junge Spieler schneller rückfällig", sagt Uellendahl. "Ihr Leidensweg ist noch nicht so lang."
Um Minderjährige besser vor Spielautomaten zu schützen, plant das Bundeswirtschaftsministerium die Einführung einer Spielerkarte. Damit ist eine Karte gemeint, "die der Spieler wie einen Schlüssel in den Automat einsetzen muss, um ein Geldspielgerät in einer Spielhalle oder Gaststätte nutzen zu können", schreibt das Wirtschaftsministerium. "Diese Karte erhält der Spieler vom Aufsichtspersonal der Spielhalle oder dem Gastwirt. Diese Maßnahme ermöglicht eine Alterskontrolle und erschwert das gleichzeitige Spielen an mehreren Geräten, dient so also dem Spieler- und Jugendschutz." Unterstützung bekommt das Wirtschaftsministerium von der Automatenwirtschaft.
Experten kritisieren den Gesetzesentwurf der Bundesregierung. Für die Suchtprävention bringe so eine Karte gar nichts und dem Jugendschutz diene sie auch nicht. "Die Spielerkarte ist Symbolpolitik. Es bedarf einer ausgereiften Lösung mit einer personalisierten Karte", sagt Ilona Füchtenschnieder, Leiterin der Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW. Es sei besser, die Systematik der Geräte zu entschärfen und Verluste zu begrenzen. Allerdings glaube sie daran "aufgrund der starken Lobby der Geräteaufsteller" nicht.
Auch Stefan kann beim Thema Spielerkarte nur müde lächeln. "Das bringt überhaupt nichts. So eine Karte stachelt uns Zocker doch noch weiter an. Dann wird man versuchen, an möglichst viele Karten zu kommen und spielt wieder an mehreren Automaten gleichzeitig. Und für den Jugendschutz bringt das auch nichts. Wer spielen will, der spielt. Meine Erfahrung ist: Der Zugang zum Automat ist immer möglich."
Stefan muss eine Tätigkeit finden, die ebenfalls Wellen des Glücks durch seinen Körper schickt. Den ersten Schritt dazu geht er gerade. "Ein gutes Gefühl, ähnlich wie beim Spielen bekomme ich, wenn ich mich beim Walken auspowere. Am schönsten ist es, wenn ich zusammen mit meiner Frau unterwegs bin."
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